Samstag, 1. Januar 2022


 

WARNUNG: Diesen Beitrag sofort nach der Lektüre vergessen und aus Ihrem Gedächtnis löschen. Er erschien heute auf der Facebook-Seite des AGHV. Er ist äußerst diskriminierend gegenüber allen Antidiskriminierungsanstregungen diverser Sprachverteidigern.) Ich distanziere mich ausdrücklich davon.

OFFIZIELLE NEUJAHRSANSPRACHE DES VORSITZENDEN*IN DES ALTENBURGENDEN HEIMATVEREINS (vormals Altenburger Geschichts- und Heimatvereins)

Liebe Altenburger, liebe Altenburgerinnen,
wahrscheinlich habe ich jetzt schon gegen alle neuen, informellen Sprachregelungen verstoßen, die man sich vorstellen kann. Denn die korrekte Anrede wäre „Liebe Altenburgender*innen“ gewesen. Aber da ich es mein ganzes Leben als Schreiberling falsch gemacht habe, kommt es auf einmal mehr auch nicht an.
Ich möchte mich trotzdem über alle diskriminierende Formulierungen, die ich in der Vergangenheit getätigt habe aufs Tiefste entschuldigen und gelobe – wie auch in diesem Vorspann zu einem Schimansky-Tatort (siehe Foto) - keine Verbesserung meiner früheren Texte, werde allerdings nicht umhin kommen, sie mit einer vorauseilenden Warnung zu versehen.
Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, in der meine Generation dafür kämpfte, dass bestimmte, äußerst diskriminierende Paragraphen aus dem Gesetzbuch verschwanden (§175). Den Begriff „schwul“ empfanden wir als äußerst diskriminierend und beleidigend. Wir mieden ihn aus Respekt vor denen, die sich selbst als homosexuell bezeichneten. Heute gehört er zum allgemeinen Sprachgebrauch – vor allem nachdem ihn der berlindernde und Regierende und bürgermeisternde Wovereit vor zwanzig Jahren hoffähig gemacht hatte.
Das N-Wort habe ich in schriftlicher Form nie benutzt – noch nicht einmal als N-Wort. Von Karl May, einem notorischen Lügner wie ich im Alter von bloß neun Jahren erfahren durfte und bis heute als Schockerlebnis verbuche, hatte ich gelernt, dass man das N-Wort in seiner ursprünglichen Form durchaus benutzen darf, nur das andere, das sich als eN-I-Ge-Ge_E-eR aussprechen ließ, war diskriminierend. Ich nehme an, dass demnächst auch das N-Wort als N-Wort aus allen Schriften entfernt werden wird. Corona scheint dasselbe Schicksal zu erleiden. In einem Text fand ich unser aller Plagegeist als C-Wort – was soll ich sagen – „verleugnet“?
Da wir ja im Zeitalter der Verschwörungstheorien leben, über die zu lästern inzwischen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, ist in mir ein ungeheuerlicher Verdacht erwachsen, den ich wenigstens einmal – und zwar hier – äußern möchte: In diesem Monaten des Hohen C-Worts habe ich mich insgeheim viel mit jenen Strömungen auseinandergesetzt, die unsere Zeit zu prägen scheinen. (Sie sehen, ich lerne gerade, mich vorsichtig auszudrücken, was natürlich auf Kosten der Klarheit und wahrscheinlich auch der Wahrheit gehen wird, um wenigstens mal in Klammern die Wahrheit zu sagen.) Dabei ist mir aufgefallen (und auch das müsste ich jetzt aus Vorsicht in Klammern schreiben), dass es eine Neigung gibt, alles, was früher war, verschwinden zu lassen oder ihm dem Odium der moralischen Überlagerung auszusetzen (womit ich euphemistisch eine postWortale Diskriminierung alter Texte meine). Es ist – so meine Verschwörungstheorie – der Versuch, die Vergangenheit grundsätzlich abzuschaffen. Dafür spricht auch das Bemühen, das Partizip Präsenz in unsere Gebrauchssprache als festen Bestandteil zu implementieren – wie das ja schon in Begriffen wie Studierende oder Mitarbeitende zum Ausdruck kommt. In Deutschland herrscht künftig nur noch die Gegenwartsform und die sich zeitlos gebende Befehlsform. Gewöhnen Sie sich daran! Es ist übrigens sehr bequen, weril es Ihr Gesichtsfeld auf den reinen Augenblick reduziert. (Auch sollten Sie sich daran gewöhnen, so gestelzt zu schreiben, wie ich das hier tue. Das wirkt sehr geleert.)
Ich werde deshalb wohl nicht umhin kommen, den Geschichts- und Heimatverein Altenburg, dessen Vorsitzender*in ich bin, umbenennen zu lassen. Wir würden dann nur noch als Heimatverein firmieren. Wir müssen uns einfach damit abfinden, dass wir alte Texte, die seit mehr als tausend Jahren der Diskriminierung huldigten, nicht mehr als Quellende benutzen können. Vielleicht schaffen wir es sogar, uns nur noch auf die Gegenwart zu konzentrieren, die ja – Dank Corona – uns sowieso in einer Weise isoliert, dass wir über Geschichte gar nicht mehr reden können. Und unsere Heimat ist ohnehin unser Heim – und nichts als unser Heim.
Um meiner Distanziertheit zu allem, was war, lebendigen Ausdruck zu geben, habe ich zudem beschlossen, die von mir so leichtfertig praktizierte Duzerei zu beenden. Sie sind jetzt alle Sie für mich.
Wie Sie richtig vermuten, liebe Altenburgender – Sternchen-Sprachpause – Innen, habe ich mir vorgenommen in einer Art von Selbstjustiz, alle meine Texte für unleserlich zu erklären. Dazu gehört natürlich auch dieser Text, der allerdings als mein letzter großer Sprachsündenfall den Beginn meines Projektes 2022 markieren soll.
Auch im Namen meiner Co-Vorsitzender*in Petra Bader (schön, dass ihr Vorname bereits eine weibliche Endung hat, was zu ändern bei ihrem Nachnamen „Bader“ in „Bada“ auch nicht so schwer sein dürfte) wünsche ich Ihnen ein gutes Neues Jahr. (Und weil dies der Wahrheit entspricht, wieder hole ich diesen Wunsch auch in Klammern: Gutes Neues Jahr)
Ihr Raimunder Vollmerender
Sollte ich auf meine Neujahrsansprache diskriminierende Kommentare erhalten, werde ich dies unverzüglich der Meta-Ebene, also den Facebooksprachkommissaren, melden und um endgültige Lös(ch)ung bitten. (Am besten antworten Sie überhaupt nicht und lassen Ihren Daumen in Ruhe)