Freitag, 31. März 2017
Donnerstag, 30. März 2017
Ich freue mich auf den Sommer - Allein deswegen!!!
Viele wunderbare Stunden am Dorfbrunnen wünscht der gesamten Neckargasse (und Umgebung) Euer Altenburger Geschichts- und Heimatverein. Vielleicht sollten wir mal hier - ganz spontan - acu einen Altenburger Abend machen...
Mittwoch, 29. März 2017
Der Grillplatz: Die Vandalenburg von Altenburg
Dienstag, 28. März 2017
Altenburger Abende: Mit Luther sind wir noch nicht fertig...
Du bist längst zuhause, da fällt Dir dann doch noch eine Frage ein, die Du nicht nur Marcus Bogner, dem Reformationsreferenten am gestrigen Abend, hättest stellen können, sondern jedem Deiner Mitbürger: "Was haben die Menschen in Altenburg wohl vor 500 Jahren gedacht, als ihnen, den Mitgliedern der Oferdinger Kirchenfiliale, mitgeteilt wurde, dass sie sich fortan protestantisch nennen sollen?" Du bist in Deinen Glauben hineingeboren worden (wie die Menschen vor einem halben Jahrtausend), aber die Frage, ob Du glaubst - an Gott (und an die "heilige katholische Kirche", wie es im Credo heißt) - durftest Du ab Deinem 14. Lebensjahr selbst für Dich beantworten und entscheiden. Aber die Menschen früher? Wieviel persönlichen Entscheidungsraum hatten sie?
Die alte Reichsstadt Reutlingen hatte es da wohl besser, wie Marcus Bogner beim gestrigen "Altenburger Abend" im evangelischen Gemeindesaal belegte. Da entschied sich die Stadt gleichsam kollektiv und in Übereinstimmung mit dem Willen der Bürger für das Luthertum und hielt über alle Fährnisse hinweg treu daran fest.
Es war ein wunderbarer Abend gestern - und die in Altenburg ansässigen Lehrer, die gestern überproportional vertreten waren in dem sehr gut besuchten Vortragssaal, meinten: "Man merkt, dass da ein Pädagoge gesprochen hat." Es war der Stolz auf den eigenen Berufsstand, der da aus ihnen sprach. Und das ist ja irgendwie auch schön, wenn Lehrer mal ganz offen stolz sein können auf sich selbst. Es war auch in der Tat sehr kurzweilig - und als "Schüler", der von den Lehrer nie eine ganz so hohe Meinung hatte (lieber zwei Stunden Unterricht als gar keinen Schlaf) wie diese von sich, musstest Du zugeben, dass Du Dich nicht eine Sekunde gelangweilt hast und Dein aus der Zeit der Niederlagen überkommener Wuinsch, durch ketzerische Zwischenfragen den Mann am Pult aus dem Konzept zu bringen, kam erst gar nicht auf. Noch nicht einmal eine Fümf-Miniten-Pause hast Du vermisst. Das war eine rasante Doppelstunde. Am Ende warst Du einfach nur platt, richtig platt.
Und Dir war klar, warum Luther nicht nur das Entstehen der evangelischen Kirche bewirkt hat, sondern eigentlich auch Deine Kirche, diese "heilige katholische Kirche", gerettet hat. Was wäre ohne Luther aus ihr geworden? Auch eine Frage, die Du gerne gestellt hättest, wenn Du während des "Unterrichts" daran gedacht hättest. Aber wie bei aller guten Pädagogik kommen die Fragen erst später, bei den Hausaufgaben, wenn Du ganz allein an Deinem Schülerschreibtisch sitzt und die Fragen beantworten musst, die Dir Dein Lehrer mit nachhause gegeben hat.
Natürlich hat Marcus Bogner, Pfarrer und Ehemann unserer Pfarrerin, uns keine Hausaufgaben gegeben. Wie auch? Dass er uns zum Nachdenken gebracht hat (und da bin ich mir ziemlich sicher, dass er das getan hat), ist indes sein eigentlicher Erfolg. Dieses Kapitel in der Altenburger Gegenwartsgeschichte ist noch nicht zu Ende. Das sollte der Altenburger Geschichts- und Heimatverein, der zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde diese "Altenburger Abende" gestaltet, unbedingt noch aufnehmen.
Mit Luther sind wir noch nicht fertig. Und wer da einen drohenden Unterton heraushört, der hat nicht ganz Unrecht. Denn dieser Mann des Jahrtausends hat uns und unseren Kirchen noch ein paar Aufgaben mitgegeben. Er hat vor 500 Jahren ein selbstgefälliges, ja korruptes System zerstört. Und wie sehen die Kirchen heute aus? Wird da nicht zuviel von oben (herab) agiert, regiert und redigiert?
Insofern ist allein die Frage, wie wohl damals die Menschen, also vor allem die Bauern, diesen Wandel verkraftet haben, schon irgendwie berechtigt. Wir werden es natürlich nicht wirklich wissen können, weil andere mit anderen Interessen damals die Geschichte schrieben.
Marcus Bogner hat in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass wir mit unseren eigenen, heutigen Vorstellungen und Rechtsauffassungen kaum den damals sehr stark von Aberglauben geprägten Gedankenwelten der Menschen gerecht werden können. Die Gedanken der damaligen Elite, des Adels, sind uns inzwischen nicht minder fremd, obwohl sie allein durch die niedergeschriebenen Daten und Taten eher bekannt sind. Und doch bleibt über all die Jahrhunderte hinweg die Frage aktuell: Wie sehr werden wir manipuliert? Und wenn Heinrich Heine, der weltberühmte Freund des fast ebenso weltberühmten Reutlingers Friedrich List, in "Deutaschland - ein Wintermärchen" schreibt: "Wir kennen die Herren Verfasser, sind tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser", dann sind wir wahrscheinlich mit der Zeit vor 500 Jahren gedanklich vereint...
Am Sonntag jedenfalls berichtete die Frankfurter Allegmeine Sonntagszetung unter der Überschrift: "Wo bleibt die Kirchensteuer?" darüber, dass von dem vielen Geld, das über die Einkommensteuer in die Kassen der evangelischen Kirche fließt, nur ein Bruchteil bei den Gemeinde selbst ankommt. Das Paradebeispiel in diesem Bericht ist die Gemeinde Priem am Chiemsee: 475.000 Euro Kirchensteuern nehmen dort die Pfarreien ein, doch vor Ort schrumpft dieser Betrag auf 63.095 Euro zusammen. Natürlich wird das zentral verwaltete Geld nicht wie vor 500 Jahren für ein Lotterleben ausgegeben, sondern für kirchliche Dienste und Arbeiten. "Doch den Gedanken für die Menschen da zu sein, haben wir verloren. Und die Kirchengemeinden sind völlig aus dem Blick geraten", wird der Theologe Karl-Friedrich Wackerbarth, Pfarrer in Priem, zitiert.
Auf jeden Fall war der Gedanke gestern da. Denn das ist ja der Sinn der "Altenburger Abende". Sie sind für die Menschen da. Deshalb geht es am 6. Mai zur Kunkurrenz, nach Rottenburg. Peter Nagel, der hier bekannte Rezitator von Sebastian Blau, führt uns durch die Geburtsstadt seines Idols. Das wird dann mal ein "Rottenburger Nachmittag", bei dem wir jemandem aufs Maul schauen, der vor allem Schwäbisch mit uns schwätzen wird, also anders als Luther, der uns das Deutsch in die Kirchen gebracht hat, damit wir alle Gottes Wort verstehen und uns unsere eigene Meinung bilden...
Raimund Vollmer
Die alte Reichsstadt Reutlingen hatte es da wohl besser, wie Marcus Bogner beim gestrigen "Altenburger Abend" im evangelischen Gemeindesaal belegte. Da entschied sich die Stadt gleichsam kollektiv und in Übereinstimmung mit dem Willen der Bürger für das Luthertum und hielt über alle Fährnisse hinweg treu daran fest.
Es war ein wunderbarer Abend gestern - und die in Altenburg ansässigen Lehrer, die gestern überproportional vertreten waren in dem sehr gut besuchten Vortragssaal, meinten: "Man merkt, dass da ein Pädagoge gesprochen hat." Es war der Stolz auf den eigenen Berufsstand, der da aus ihnen sprach. Und das ist ja irgendwie auch schön, wenn Lehrer mal ganz offen stolz sein können auf sich selbst. Es war auch in der Tat sehr kurzweilig - und als "Schüler", der von den Lehrer nie eine ganz so hohe Meinung hatte (lieber zwei Stunden Unterricht als gar keinen Schlaf) wie diese von sich, musstest Du zugeben, dass Du Dich nicht eine Sekunde gelangweilt hast und Dein aus der Zeit der Niederlagen überkommener Wuinsch, durch ketzerische Zwischenfragen den Mann am Pult aus dem Konzept zu bringen, kam erst gar nicht auf. Noch nicht einmal eine Fümf-Miniten-Pause hast Du vermisst. Das war eine rasante Doppelstunde. Am Ende warst Du einfach nur platt, richtig platt.
Und Dir war klar, warum Luther nicht nur das Entstehen der evangelischen Kirche bewirkt hat, sondern eigentlich auch Deine Kirche, diese "heilige katholische Kirche", gerettet hat. Was wäre ohne Luther aus ihr geworden? Auch eine Frage, die Du gerne gestellt hättest, wenn Du während des "Unterrichts" daran gedacht hättest. Aber wie bei aller guten Pädagogik kommen die Fragen erst später, bei den Hausaufgaben, wenn Du ganz allein an Deinem Schülerschreibtisch sitzt und die Fragen beantworten musst, die Dir Dein Lehrer mit nachhause gegeben hat.
Natürlich hat Marcus Bogner, Pfarrer und Ehemann unserer Pfarrerin, uns keine Hausaufgaben gegeben. Wie auch? Dass er uns zum Nachdenken gebracht hat (und da bin ich mir ziemlich sicher, dass er das getan hat), ist indes sein eigentlicher Erfolg. Dieses Kapitel in der Altenburger Gegenwartsgeschichte ist noch nicht zu Ende. Das sollte der Altenburger Geschichts- und Heimatverein, der zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde diese "Altenburger Abende" gestaltet, unbedingt noch aufnehmen.
Mit Luther sind wir noch nicht fertig. Und wer da einen drohenden Unterton heraushört, der hat nicht ganz Unrecht. Denn dieser Mann des Jahrtausends hat uns und unseren Kirchen noch ein paar Aufgaben mitgegeben. Er hat vor 500 Jahren ein selbstgefälliges, ja korruptes System zerstört. Und wie sehen die Kirchen heute aus? Wird da nicht zuviel von oben (herab) agiert, regiert und redigiert?
Insofern ist allein die Frage, wie wohl damals die Menschen, also vor allem die Bauern, diesen Wandel verkraftet haben, schon irgendwie berechtigt. Wir werden es natürlich nicht wirklich wissen können, weil andere mit anderen Interessen damals die Geschichte schrieben.
Marcus Bogner hat in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass wir mit unseren eigenen, heutigen Vorstellungen und Rechtsauffassungen kaum den damals sehr stark von Aberglauben geprägten Gedankenwelten der Menschen gerecht werden können. Die Gedanken der damaligen Elite, des Adels, sind uns inzwischen nicht minder fremd, obwohl sie allein durch die niedergeschriebenen Daten und Taten eher bekannt sind. Und doch bleibt über all die Jahrhunderte hinweg die Frage aktuell: Wie sehr werden wir manipuliert? Und wenn Heinrich Heine, der weltberühmte Freund des fast ebenso weltberühmten Reutlingers Friedrich List, in "Deutaschland - ein Wintermärchen" schreibt: "Wir kennen die Herren Verfasser, sind tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser", dann sind wir wahrscheinlich mit der Zeit vor 500 Jahren gedanklich vereint...
Am Sonntag jedenfalls berichtete die Frankfurter Allegmeine Sonntagszetung unter der Überschrift: "Wo bleibt die Kirchensteuer?" darüber, dass von dem vielen Geld, das über die Einkommensteuer in die Kassen der evangelischen Kirche fließt, nur ein Bruchteil bei den Gemeinde selbst ankommt. Das Paradebeispiel in diesem Bericht ist die Gemeinde Priem am Chiemsee: 475.000 Euro Kirchensteuern nehmen dort die Pfarreien ein, doch vor Ort schrumpft dieser Betrag auf 63.095 Euro zusammen. Natürlich wird das zentral verwaltete Geld nicht wie vor 500 Jahren für ein Lotterleben ausgegeben, sondern für kirchliche Dienste und Arbeiten. "Doch den Gedanken für die Menschen da zu sein, haben wir verloren. Und die Kirchengemeinden sind völlig aus dem Blick geraten", wird der Theologe Karl-Friedrich Wackerbarth, Pfarrer in Priem, zitiert.
Auf jeden Fall war der Gedanke gestern da. Denn das ist ja der Sinn der "Altenburger Abende". Sie sind für die Menschen da. Deshalb geht es am 6. Mai zur Kunkurrenz, nach Rottenburg. Peter Nagel, der hier bekannte Rezitator von Sebastian Blau, führt uns durch die Geburtsstadt seines Idols. Das wird dann mal ein "Rottenburger Nachmittag", bei dem wir jemandem aufs Maul schauen, der vor allem Schwäbisch mit uns schwätzen wird, also anders als Luther, der uns das Deutsch in die Kirchen gebracht hat, damit wir alle Gottes Wort verstehen und uns unsere eigene Meinung bilden...
Raimund Vollmer
Montag, 27. März 2017
Heute abend: Luther in Altenburg
Er gilt als Mann des Jahrtausends - mit ihm, durch ihn und nach ihm vollzog sich ein unglaublicher Wandel, dem wir heute unseren Wohlstand zu verdanken haben. Heute abend wird uns Marcus Bogner erzählen, wie Luther auf unsere Heimat wirkte - und wir sind sehr gespannt. Zur Einstimmung habe ich einmal in meinen eigenen Manuskripten herumgestöbert, weil ich mich erinnerte, dass ich mich mit ihm im Zusammenhang mit dem Entstehen des Internets und der modernen Wissensgesellschaft beschäftigt hatte. Zwanzig Jahre ist es her. Ich habe ihn damals wohl sehr bewundert (und nach der erneuten Lektüre ist es mir jetzt nicht anders gegangen). Ich hoffe, dass es nicht als zu vermessen gilt. wenn ich dieses Kapitel hier veröffentliche.
1997: Mein Luther-Bild
Von Raimund Vollmer (katholisch)
1997: Mein Luther-Bild
Von Raimund Vollmer (katholisch)
Der Name Martin Luthers wird natürlich vor allem verbunden mit dem Ablassbrief, der die Menschen aus und vor dem Fegefeuer retten sollte. Vor allem aber sollten die Erlöse aus der
Erlösung von den Sünden helfen, die Peterskirche in
Rom zu errichten. Es war ein prosperierendes Geschäft für die
Verkäufer der Titel. Marktschreierisch wurden sie in der Kirchenprovinz Magdeburg
von dem Dominikaner Johannes Tetzel
feilgeboten. Das erboste schließlich den Augustinereremitenmönch Martin Luther (1483‑1546), der gegen die
korrupte Kommerzialisierung des Glaubens antrat. Sein Protest gipfelte in dem
Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 an der Schloßkirche in Wittenberg, mit dem
er über das Geschäft mit den Ablaßbriefen aufklärte. Ein Jahr später erscheint
seine in Deutsch verfaßte Streitschrift »Sermon von Ablaß und Gnade«, die in
wenigen Monaten eine Auflage von 20.000 Exemplaren erreicht. Und 1522 kommt
das Neue Testament in deutscher Sprache »auf den Markt«. Zu diesem Zeitpunkt
war die Zahl der Bücher in Europa auf mehr als neun Millionen gestiegen. Vor
Gutenberg waren es gerade einmal
30.000 gewesen. Das, was man später das »zweite Informations‑Zeitalter« nennen sollte, hatte begonnen. Mit
ihr zerfiel der Corpus Christianum,
zersplitterten sich der Glaube, die Wissenschaften teilten sich auf in immer
mehr Segmente und der geistige Zusammenhalt in Europa zerbarst. Luther galt als der »Zerstörer des großen
Kirchenbaus«, wie ihn der Publizist Joseph
Görres nannte.
Bibel & Nation. Aber es entstanden
auch neue Gemeinsamkeiten. Die Philosophen der Aufklärung, die ganz Europa
erfasste, nannten ihn ihren Vater, weil er das Prinzip der freien Rede
durchgesetzt hatte. Er wurde »zum Zeugen einer nur der Wahrheit verpflichteten
Forschung aufgeboten«, schrieb 1996 Gerhard
Besier, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg.[1] Für Karl Marx war der Theologe ein theoretischer Revolutionär. So sehr
Luther ‑ zwar ungewollt ‑ mit seinen
Forderungen nach der Reform der katholischen Kirche den Glauben spaltete,
so sehr legte das »Sprachgenie« (Besier)
auch die kulturelle Grundlage für eine gemeinsame deutsche Nation. Die Bibel
war das meistgelesene Buch ‑ und zum ersten Mal konnten die Deutschen ihre
Sprache in all ihren Dialekten mit einem einheitlichen Text vergleichen. Luther schuf zwischen 1522 und 1534 mit
seiner kompletten Bibelübersetzung die moderne deutsche Sprache. Und sie
wurde akzeptiert, weil er »dem Volk aufs Maul« schaute. Er verlangte zudem,
dass in den Schulen nicht mehr Latein, sondern Deutsch die Lehrsprache sein
sollte. Außerdem sponserte er das erste deutsche Gesangsbuch, das eine Menge
von ihm komponierte Choräle und Lieder enthielt. “Martin Luther, eine riesenhafte Inkarnation deutschen Wesens, war
außerordentlich musikalisch“, charakterisierte ihn 1945 Thomas Mann.[2]
Indem er Gott
nicht mehr als einen zornigen Richter, sondern als einen vergebenden Vater
definierte, sorgte er dafür, daß die Menschen »ein Gespür für Freiheit und Sicherheit«
bekamen, war er nach Meinung von Martin
Marty, Historiker an der Universität von Chicago so etwas wie ein Wegbereiter
der Menschenrechte und des Individualismus.[3] Religion wurde eine Sache
des Gewissens. Mit Luther vollzog
sich eine Trennung zwischen privater und öffentlicher Existenz.
War vor ihm
die Wirklichkeit nur eine Funktion der Glaubenswelt, die alle menschlichen
Aktivitäten bestimmte, so entstand nun die säkularisierte Kultur, wie wir sie
heute kennen. Die Folge: Wir leben in einer »Kultur des Unglaubens«, wie es Stephen Carter, Professor an der
amerikanischen Yale University nennt.
In ihr haben religiös fundierte Argumente keinen Platz. So haben nach Aussage
von Carter in der - vor allem in den USA wütend geführten - Abtreibungsdebatte ethische, praktische oder soziologische
Argumente ihre Berechtigung, religiöse nicht. Wer sie ins Spiel
bringt, sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, dass er mit seiner Argumentation
zugleich sein gesamtes Glaubensgebäude anderen aufzwängen will.[4] Nicht wenige meinen
derweil, daß diese Verweltlichung nun umschlägt in eine neue »globale
Spiritualität«, wie es 1994 Vaclav Havel,
der damalige Präsident der Tschechischen Republik nannte. In einem Vortrag an der Stanford University, dem Techno‑Tempel
des Silicon Valleys, beeindruckte er
seine Zuhörer mit der Aussage, dass demokratische Werte auf einer »geistigen
Dimension gründen, die alle Kulturen und besonders alle Menschen einigt«. Und
er erinnerte daran, dass nahezu alle Weltreligionen auf der uralten
Vorstellung basieren, dass »die gesamte Geschichte des Kosmos und besonders des
Lebens auf geheimnisvolle Weise gespeichert ist im Innern aller Menschen.«
Daraus leitet Havel das Entstehen eine »planetaren
Demokratie« ab.[5]
Es könnte sein, dass das Internet
genau der Ort wird, in dem diese »planetarische Demokratie« Wirklichkeit wird. Pater Richard John Neuhaus, Direktor
des Forschungsintituts Religion and
Public Life in New York, urteilt im Pflichtblatt des Kapitalismus, im Wall Street Journal: »Die Allianzen,
die der Kalte Krieg schuf, zerstreuen sich. Nur wenige sehen in den Vereinten
Nationen den Wegbereiter einer neuen Weltregierung. Es gibt natürlich die
globalen Märkte und Technologien. Obwohl sie sehr bedeutend sind, können sie
doch nicht den moralischen Zusammenhalt erzeugen, den die Menschheit
braucht.« Das kann allein ‑ »mangels eines besseren Wortes die Spiritualität«
leisten. Und dann zitiert Neuhaus den
französischen Schriftsteller und Kulturpolitiker André Malraux: »Das nächste Jahrhundert wird religiös sein oder
überhaupt nicht.«[6]
Als sich im August 1997 das katholische Frankreich für die Weltjugendtage
rüstete, befürchteten die Veranstalter, dass sie einen Riesenflop gestartet
hatten. Nur 70.000 Franzosen hatten sich angemeldet, um gemeinsam zu feiern und
den Papst zu sehen. Doch dann kam es ganz anders. 750.000 Menschen reisten an, ein Drittel aus
dem Ausland. Und die konservative Tageszeitung Le Figaro sprach von einem »spirituellen Erdbeben«.[7]
Das Streben der Menschen
nach Gemeinschaft ist ungebrochen.
Nachsatz 2017: Schon deshalb freue ich mich auf den heutigen Abend.
Forsetzung:
Was heute Google & Facebook darstellen, war vor zwanzig Jahren die Macht der Microsoft Corp. und deren Gründer Bill Gates. Damals befürchtete ich, dass dem Internet dasselbe passieren würde wie dem christlichen Glauben - es würde ein "Produkt der Mächtigen". Vor diesem Hintergrund setzte ich obigen Text wie folgt fort - und stelle heute fest: So weit weg von dem, was heute passiert, war ich gar nicht, oder?
"Wird nun das Internet die Peterskirche des nächsten Jahrtausends? Dann wäre es erneut ein Produkt der Mächtigen. 1506 hatte der Kunstmäzen Papst Julius II., der den Maler Raffael sponserte und dessen Grabmal Michelangelo schuf, den Grundstein für den Neubau des Doms gelegt. Mit dem Entstehen dieses Prachtbaus wurde die Zerrüttung der Kirche vollends deutlich. Als Nachfolger des berüchtigten und skrupellosen Papstes Alexander VI. war der Kirchenfürst, übrigens Vater dreier Töchter, 1503 selbst durch Bestechung ins Amt gekommen. Il Terrible (Der Schreckliche), wie er genannt wurde, wußte seine persönlichen Interessen zu wahren. Aber sie waren noch deckungsgleich mit denen der Kirche.[8] Vollends auf dem Weg der Verweltlichung befand sich dann nach seinem Tod 1513 die katholische Kirche. Der Medici‑Papst Leo X. kam an die Macht, und er war nun mit den überbordenen Finanzierungskosten der Basilica konfrontiert. 1514 erließ er ein Ablaßdekret, das sich der Markgraf von Brandenburg Albrecht II., Erzbischof von Magdeburg, für seine ehrgeizigen politischen Ziele zunutze machen suchte. Er wollte zusätzlich noch den Posten als Erzbischof von Mainz, um so zugleich Kurfürst zu werden. Ein höchst lukratives Amt, denn als Kurfürst hatte er Sitz und Stimme bei der Wahl des nächsten Kaisers. Dieses Stimmrecht ließ sich in bare Münzen oder neue Privilegien verwandeln. Für 24.000 Goldgulden, das entsprach den Jahreseinnahmen des Kaisers, übergab ihm Papst Leo die Pfründe. Natürlich hatte der Markgraf das Geld nicht zur Hand. Er lieh es sich bei den Fuggern, den Augsburger Frühkapitalisten. Zurückzahlen wollte er es durch die Hälfte der Einnahmen aus dem Ablaßbrief, die andere Hälfte ging nach Rom zur Finanzierung der Peterskirche. Bis zu 25 Goldgulden kostete ein Ablaß. Die Kirche war ein einziges korruptes Geschäft, ein »Königreich der Sünde«, wie es Luther nannte.
Nachsatz 2017: Wenn wir die Börsenkapitalisierung mancher Internet-Unternehmen anschauen, dann sind diese nur gerechtfertigt durch die immense Macht, die wir glauben, dass diese Firmen über unser Leben im Cyberspace haben
Forsetzung:
Was heute Google & Facebook darstellen, war vor zwanzig Jahren die Macht der Microsoft Corp. und deren Gründer Bill Gates. Damals befürchtete ich, dass dem Internet dasselbe passieren würde wie dem christlichen Glauben - es würde ein "Produkt der Mächtigen". Vor diesem Hintergrund setzte ich obigen Text wie folgt fort - und stelle heute fest: So weit weg von dem, was heute passiert, war ich gar nicht, oder?
"Wird nun das Internet die Peterskirche des nächsten Jahrtausends? Dann wäre es erneut ein Produkt der Mächtigen. 1506 hatte der Kunstmäzen Papst Julius II., der den Maler Raffael sponserte und dessen Grabmal Michelangelo schuf, den Grundstein für den Neubau des Doms gelegt. Mit dem Entstehen dieses Prachtbaus wurde die Zerrüttung der Kirche vollends deutlich. Als Nachfolger des berüchtigten und skrupellosen Papstes Alexander VI. war der Kirchenfürst, übrigens Vater dreier Töchter, 1503 selbst durch Bestechung ins Amt gekommen. Il Terrible (Der Schreckliche), wie er genannt wurde, wußte seine persönlichen Interessen zu wahren. Aber sie waren noch deckungsgleich mit denen der Kirche.[8] Vollends auf dem Weg der Verweltlichung befand sich dann nach seinem Tod 1513 die katholische Kirche. Der Medici‑Papst Leo X. kam an die Macht, und er war nun mit den überbordenen Finanzierungskosten der Basilica konfrontiert. 1514 erließ er ein Ablaßdekret, das sich der Markgraf von Brandenburg Albrecht II., Erzbischof von Magdeburg, für seine ehrgeizigen politischen Ziele zunutze machen suchte. Er wollte zusätzlich noch den Posten als Erzbischof von Mainz, um so zugleich Kurfürst zu werden. Ein höchst lukratives Amt, denn als Kurfürst hatte er Sitz und Stimme bei der Wahl des nächsten Kaisers. Dieses Stimmrecht ließ sich in bare Münzen oder neue Privilegien verwandeln. Für 24.000 Goldgulden, das entsprach den Jahreseinnahmen des Kaisers, übergab ihm Papst Leo die Pfründe. Natürlich hatte der Markgraf das Geld nicht zur Hand. Er lieh es sich bei den Fuggern, den Augsburger Frühkapitalisten. Zurückzahlen wollte er es durch die Hälfte der Einnahmen aus dem Ablaßbrief, die andere Hälfte ging nach Rom zur Finanzierung der Peterskirche. Bis zu 25 Goldgulden kostete ein Ablaß. Die Kirche war ein einziges korruptes Geschäft, ein »Königreich der Sünde«, wie es Luther nannte.
Nachsatz 2017: Wenn wir die Börsenkapitalisierung mancher Internet-Unternehmen anschauen, dann sind diese nur gerechtfertigt durch die immense Macht, die wir glauben, dass diese Firmen über unser Leben im Cyberspace haben
[1] Die Welt, 6.1.1996, Gerhard Besier: »Held, Narr
oder nur ein Mensch?«
[3] Time, 17.10.1983, Richard N. Ostling, Roland Flamini, Wanda
Mencke‑Glückert: »Luther: 500 Years Young«
[4] Time, 15.6.1998, Charles Krauthammer: »Will it be coffee, tea or
He? «
[5] Time, 28.11.1994, Kenneth L. Woodward: »On the road again«
[6] Wall Street Journal, 11.7.1995, Richard John Neuhaus: »The
Religious Century Nears«
Sonntag, 26. März 2017
Samstag, 25. März 2017
Sonntag, 19. März 2017
Markungsputzete: Dieser Österreicher wollte auch einmal einen Gipfel stürmen...
Samstag, 18. März 2017
Donnerstag, 16. März 2017
Mittwoch, 15. März 2017
Dienstag, 14. März 2017
Sonntag, 12. März 2017
Samstag, 11. März 2017
Freitag, 10. März 2017
Mittwoch, 8. März 2017
Dienstag, 7. März 2017
Sonntag, 5. März 2017
Samstag, 4. März 2017
Freitag, 3. März 2017
Donnerstag, 2. März 2017
Mittwoch, 1. März 2017
Wenn Altenburger dereinst Richtung Reutlingen blicken...
Hochhäuser sollen dereinst die Silhouette von Reutlingen bestimmen, heißt es in einer Beschlussvorlage zur Wohnungsbaupolitik für den Gemeinderat der Stadt. Von Altenburg aus kommend herangezoomt sieht es bereits so aus. Es ist dann auch der Kampf von Flachdach gegen Giebeldach. Würde uns eine Mehrung der Hochflachdächer wirklich gefallen?
Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer
Es tut mir leid, dass ich in letzten Wochen so wenig geblogt habe, aber ein sehr langwieriges Projekt hat sehr viel Kraft und Zeit gekostet. Ich hoffe, dass ich mich jetzt bessere...
(Raimund Vollmer)
Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer
Es tut mir leid, dass ich in letzten Wochen so wenig geblogt habe, aber ein sehr langwieriges Projekt hat sehr viel Kraft und Zeit gekostet. Ich hoffe, dass ich mich jetzt bessere...
(Raimund Vollmer)
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