Freitag, 28. März 2014

Ein Neuling berichtet: Aus dem Leben eines Bezirksgemeinderats


Von Raimund Vollmer
Redemanuskript anlässlich der Infoveranstaltung zur Kommunalwahl 2014 im Vereinszimmer der Hofschule. Die Rede selbst wurde frei gehalten, ist aber mit dem Inhalt hier indientisch. Ziel war es, möglichen Bewerbern einen Eindruck über die Arbeit im Rat zu geben - und für das Amt zu werben.

Bezirksgemeinderäte Siegfried Schaal, Heinz Wezel, Karl-Otto Dobler beim Besuch der Studenten der Nürtinger Hochschule, die 2011 Vorschläge erarbeiteten zur Umgestaltung der Ortsmitte. Bildertanz-Quelle: RV
2009 war ich in Altenburg der einzige, der als Neuling ins Dorfparlament gewählt worden war. Es waren also lauter Profis um mich herum. Ich gehörte zur "Bürgerliste", die mit fünf Plätzen zweiter Sieger wurde, also - Spaß darf sein - nicht vorletzter wie "Wir für Altenburg", die mit sechs Räten die Mehrheit besaßen. Ich hatte 347 Stimmen, sechs mehr als mein lieber Freund Heinz Wezel, der allerdings später für Achim Schulze nachrückte.
Ich erinnere mich sehr gut an den Tag, an dem ich erstmals am Ratstisch Platz nehmen durfte. Was ich allerdings erst später wahrnahm,war, dass sich der Blick auf die Welt damit kolossal veränderte. Plötzlich spürtest Du die Wucht der Verantwortung. Denn jetzt sprachts Du ja nicht mehr  nur für Dich, sondern für Altenburg. Dass dies Deine Sicht ändern würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Als Zuschauer, als Wähler sieht man die Rolle und Bedeutung eines solchen Dorfparlamentes völlig anders. Erstens weiß man als Wähler bereits alles und im Zweifel auf jeden Fall besser. Das war für mich der größte Schock, wie sehr sich dein Weltbild änderte. Die anderen hatten auch Argumente - und die waren gar nicht mal schlecht.. Meine Allwissenheit war plötzlich dahin. Du gehst in Deine eigene Falle.
Du startest mit unglaublichem Ehrgeiz, und dein Enthusiasmus ist grenzenlos. Nach und nach merkst Du aber, dass in dieser Welt die Uhren nicht nur langsamer, sondern mitunter auch rückwärtsgehen. Es dauert etwas, bis Du weißt, wann Du etwas sagen darfst und zu welchen Punkten. Und als Hinterbänkler und Neuling hast Du sowieso erst einmal die Aufgabe, Dich anzupassen.
Wie groß Dein Engagement ist und welchen Aufwand Du betreibst, hängt allein von Dir selbst ab. Mit der Zeit lebst Du in den Themen, die am Tisch diskutiert werden.
Dass Du zu irgendwelchen Ausschüssen der Stadt gerufen wirst, ist mir nur zweimal passiert.
Eine der Fragen, die Dich am Anfang sehr, sehr bewegen, ist das Verhältnis von öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen. Ich war dafür, dass möglichst alles öffentlich sein sollte - und habe die Argumente der erfahreneren Kollegen, die lieber nichtöffentlich beraten, nicht verstanden. 
Heute weiß ich, dass sie recht hatten.
Es geht da nicht um geheim oder Vertraulichkeit. Das spielt auch eine Rolle, aber etwas anderes ist viel, viel wichtiger ist. Jedenfalls aus meiner Sicht. Es geht darum, dass in öffentlichen Sitzungen Du eine fix und fertige Meinung brauchst. Denn Du willst ja einen guten, kompetenten Eindruck machen. Nicht nur vor den Bürgern, sondern besonders vor der Presse. Denn was die schreibt, bleibt in den Köpfen der Leute, von denen Du ja wiedergewählt werden willst und die einen guten Eindruck von Dir haben sollen. "Öffentlich" heißt: It's showtime.
In nichtöffentlicher Sitzung musst Du zu keinem Schönheitswettbewerb antreten. Hier kannst Du Dir in aller Ruhe Deine Meinung bilden. Und das ist sehr, sehr wichtig.  Denn Du musst Dich voll und ganz auf die anstehenden Themen konzentrieren - ohne die Angst, dich zu blamieren, um es einmal etwas überzogen auszudrücken. Du hast keine eigene Meinung, sondern du bildest dir - im Disput mit deinen Kollegen - eine eigene Meinung. Ich glaube, dass auf diese Weise gute und kluge Beschlüsse herauskommen. Ob sie dann auch umgesetzt werden, ist eine ganz andere Frage.
Denn das ist die nächste Lektion, die Du als Neuling lernst. Ich will es mal krass formulieren. Die Stadtverwaltung braucht für alles, was sie tut, die doppelte Zeit dessen, was Du für angemessen empfindest. Daran könnte man sich ja gewöhnen und von vornherein die doppelte Zeit annehmen. Dann allerdings stellst Du fest, dass es trotzdem doppelt so lang dauert, also viermal länger.
Du brauchst in dem Job Geduld, sehr viel Geduld. Und das dem Wähler zu vermitteln, ist sehr, sehr schwierig. Manchmal glaube ich, das ist sogar der schwerste Teil, weil Dir irgendwann die Argumente ausgehen. Das war in der jetzigen Legislaturperiode vor allem das Thema Neue Ortsmitte so und bei dem Thema Verkehrsberuhigung (Donaustraße/Isarstraße).
Nun geht das aber nicht nur dir so, sondern den Kollegen auch. Das stimmt umso mehr, seitdem wir praktisch keine zwei Listen mehr haben.
Anfangs standen sich zwei mehr oder minder unversöhnliche Lager gegenüber. Ich gehörte als Neuling zur Opposition. Das heißt: Du bist im Prinzip gegen alles, was die andere Seite, die zudem den Bürgermeister stellt, vorschlägt. Das gilt natürlich umgekehrt ebenso. Es war - aus meiner Sicht - nicht die beste Zeit für Altenburg. Wir haben zu sehr miteinander gestritten.
Mit dem Wechsel haben sich nach und nach die Fronten aufgelöst. Und heute sind wir nicht nur ein Gremium, sondern mehr ein Kollegium. Hier gibt es sehr, sehr unterschiedliche Meinungen - über die Listen hinweg. Ich bin immer wieder verblüfft, was da für kluge Ratschläge herauskommen. Wir ringen miteinander um das Beste für Altenburg - und es geht wirklich nur um unseren Ort.
Mitunter hört man den Vorwurf, dass die Räte private, egoistische Ziele verfolgen würden. In den fünf Jahren ist mir dies zu keinem Zeitpunkt aufgefallen, auch nicht, als wir noch zwei Listen waren. Jeder bringt seine fachliche, berufliche Kompetenz ein. Ganz klar. Aber egoistische Ziele, nein, kann ich nicht bestätigen.
Natürlich muss man vor sich selbst eingestehen, dass man als Bezirksgemeinderat nicht viel zu bestimmen hat. Wir können weder Geld einnehmen, noch ausgeben. Wir sind ein Rat ohne Etat. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir den demokratischen Idealen am nächsten kommen, vor allem seitdem wir uns nicht mehr als zwei Listen mit mehr oder minder starkem Fraktionszwang verstehen, sondern als Individuen.
Wir haben kaum formale Autorität, keine Weisungsbefugnis, wir regieren nicht. Wir haben aber eine natürliche Autorität, die können wir voll einbringen.
Wir sitzen hier als freie Bürger, die aus ihrem Leben heraus Dinge betrachten und begutachten. Und wenn wir uns über die Sitzungen hinaus für den Ort engagieren, dann können wir auch etwas erreichen. Vielleicht geht dann sogar manches schneller.
Raimund Vollmer
 

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