Von Raimund Vollmer
Redemanuskript anlässlich der Infoveranstaltung zur Kommunalwahl 2014 im Vereinszimmer der Hofschule. Die Rede selbst wurde frei gehalten, ist aber mit dem Inhalt hier indientisch. Ziel war es, möglichen Bewerbern einen Eindruck über die Arbeit im Rat zu geben - und für das Amt zu werben.
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Bezirksgemeinderäte Siegfried Schaal, Heinz Wezel, Karl-Otto Dobler beim Besuch der Studenten der Nürtinger Hochschule, die 2011 Vorschläge erarbeiteten zur Umgestaltung der Ortsmitte. Bildertanz-Quelle: RV |
2009 war ich in Altenburg der einzige, der als Neuling ins
Dorfparlament gewählt worden war. Es waren also lauter Profis um mich herum. Ich gehörte zur "Bürgerliste", die mit fünf Plätzen zweiter
Sieger wurde, also - Spaß darf sein - nicht vorletzter wie "Wir für Altenburg", die mit sechs Räten die Mehrheit besaßen. Ich hatte 347
Stimmen, sechs mehr als mein lieber Freund Heinz Wezel, der allerdings später für
Achim Schulze nachrückte.
Ich erinnere mich sehr gut an den Tag, an dem ich erstmals
am Ratstisch Platz nehmen durfte. Was ich allerdings erst später wahrnahm,war, dass
sich der Blick auf die Welt damit kolossal veränderte. Plötzlich spürtest Du die Wucht der Verantwortung. Denn jetzt sprachts Du ja nicht mehr nur für Dich, sondern für Altenburg. Dass dies Deine Sicht ändern würde, damit hatte ich nicht
gerechnet.
Als Zuschauer, als Wähler sieht man die Rolle und Bedeutung
eines solchen Dorfparlamentes völlig anders. Erstens weiß man als Wähler
bereits alles und im Zweifel auf jeden Fall besser. Das war für mich der größte
Schock, wie sehr sich dein Weltbild änderte. Die anderen hatten auch Argumente - und die waren gar nicht mal schlecht.. Meine Allwissenheit war
plötzlich dahin. Du gehst in Deine eigene Falle.
Du startest mit unglaublichem Ehrgeiz, und dein Enthusiasmus ist grenzenlos.
Nach und nach merkst Du aber, dass in dieser Welt die Uhren nicht nur
langsamer, sondern mitunter auch rückwärtsgehen. Es dauert etwas, bis Du weißt,
wann Du etwas sagen darfst und zu welchen Punkten. Und als Hinterbänkler und
Neuling hast Du sowieso erst einmal die Aufgabe, Dich anzupassen.
Wie groß Dein Engagement ist und welchen Aufwand Du
betreibst, hängt allein von Dir selbst ab. Mit der Zeit lebst Du in den Themen,
die am Tisch diskutiert werden.
Dass Du zu irgendwelchen Ausschüssen der Stadt gerufen
wirst, ist mir nur zweimal passiert.
Eine der Fragen, die Dich am Anfang sehr, sehr bewegen, ist
das Verhältnis von öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen. Ich war dafür,
dass möglichst alles öffentlich sein sollte - und habe die Argumente der
erfahreneren Kollegen, die lieber nichtöffentlich beraten, nicht verstanden.
Heute weiß ich, dass sie recht hatten.
Es geht da nicht um geheim oder Vertraulichkeit. Das spielt
auch eine Rolle, aber etwas anderes ist viel, viel wichtiger ist. Jedenfalls aus
meiner Sicht. Es geht darum, dass in öffentlichen Sitzungen Du eine fix und
fertige Meinung brauchst. Denn Du willst ja einen guten, kompetenten Eindruck
machen. Nicht nur vor den Bürgern, sondern besonders vor der Presse. Denn was
die schreibt, bleibt in den Köpfen der Leute, von denen Du ja wiedergewählt
werden willst und die einen guten Eindruck von Dir haben sollen. "Öffentlich"
heißt: It's showtime.
In nichtöffentlicher Sitzung musst Du zu keinem
Schönheitswettbewerb antreten. Hier kannst Du Dir in aller Ruhe Deine Meinung
bilden. Und das ist sehr, sehr wichtig. Denn Du musst Dich voll und ganz auf die
anstehenden Themen konzentrieren - ohne die Angst, dich zu blamieren, um
es einmal etwas überzogen auszudrücken. Du hast keine eigene Meinung, sondern
du bildest dir - im Disput mit deinen Kollegen - eine eigene Meinung. Ich
glaube, dass auf diese Weise gute und kluge Beschlüsse herauskommen. Ob sie
dann auch umgesetzt werden, ist eine ganz andere Frage.
Denn das ist die nächste Lektion, die Du als Neuling lernst.
Ich will es mal krass formulieren. Die Stadtverwaltung braucht für alles, was
sie tut, die doppelte Zeit dessen, was Du für angemessen empfindest. Daran
könnte man sich ja gewöhnen und von vornherein die doppelte Zeit annehmen. Dann
allerdings stellst Du fest, dass es trotzdem doppelt so lang dauert, also
viermal länger.
Du brauchst in dem Job Geduld, sehr viel Geduld. Und das dem
Wähler zu vermitteln, ist sehr, sehr schwierig. Manchmal glaube ich, das ist sogar
der schwerste Teil, weil Dir irgendwann die Argumente ausgehen. Das war in der
jetzigen Legislaturperiode vor allem das Thema Neue Ortsmitte so und bei dem
Thema Verkehrsberuhigung (Donaustraße/Isarstraße).
Nun geht das aber nicht nur dir so, sondern den Kollegen
auch. Das stimmt umso mehr, seitdem wir praktisch keine zwei Listen mehr
haben.
Anfangs standen sich zwei mehr oder minder unversöhnliche
Lager gegenüber. Ich gehörte als Neuling zur Opposition. Das heißt: Du bist im
Prinzip gegen alles, was die andere Seite, die zudem den Bürgermeister stellt,
vorschlägt. Das gilt natürlich umgekehrt ebenso. Es war - aus meiner Sicht -
nicht die beste Zeit für Altenburg. Wir haben zu sehr miteinander gestritten.
Mit dem Wechsel haben sich nach und nach die Fronten
aufgelöst. Und heute sind wir nicht nur ein Gremium, sondern mehr ein
Kollegium. Hier gibt es sehr, sehr unterschiedliche Meinungen - über die Listen
hinweg. Ich bin immer wieder verblüfft, was da für kluge Ratschläge
herauskommen. Wir ringen miteinander um das Beste für Altenburg - und es geht
wirklich nur um unseren Ort.
Mitunter hört man den Vorwurf, dass die Räte private, egoistische
Ziele verfolgen würden. In den fünf Jahren ist mir dies zu keinem Zeitpunkt
aufgefallen, auch nicht, als wir noch zwei Listen waren. Jeder bringt seine
fachliche, berufliche Kompetenz ein. Ganz klar. Aber egoistische Ziele, nein,
kann ich nicht bestätigen.
Natürlich muss man vor sich selbst eingestehen, dass man als
Bezirksgemeinderat nicht viel zu bestimmen hat. Wir können weder Geld
einnehmen, noch ausgeben. Wir sind ein Rat ohne Etat. Trotzdem bin ich der
Meinung, dass wir den demokratischen Idealen am nächsten kommen, vor allem
seitdem wir uns nicht mehr als zwei Listen mit mehr oder minder starkem
Fraktionszwang verstehen, sondern als Individuen.
Wir haben kaum formale Autorität, keine Weisungsbefugnis,
wir regieren nicht. Wir haben aber eine natürliche Autorität, die können wir
voll einbringen.
Wir sitzen hier als freie Bürger, die aus ihrem Leben heraus
Dinge betrachten und begutachten. Und wenn wir uns über die Sitzungen hinaus
für den Ort engagieren, dann können wir auch etwas erreichen. Vielleicht geht
dann sogar manches schneller.
Raimund Vollmer