Donnerstag, 14. Februar 2019

Bekommt Altenburg ein Teilauto?


»Bevor zum Anfang ein tüchtiger Grund gelegt ist, halte ich es für eitles Bemühen, über das Ende auch nur ein Wort zu verlieren.«

Demosthenes (384.322), athenischer Politiker

Das war gestern schon eine kleine Sternstunde für unser Dorfparlament. Da kam jemand aus Tübingen, Anita Gaiser, und erzählte uns, wie das läuft mit dem Carsharing. Seit 1993 gibt es das in Tübingen. Zuerst als Verein, seit 2017 als Genossenschaft - aber der Name blieb gleich: teilAuto. Zwölf Mitarbeiter zählt das Unternehmen, das 98 Genossenschaftsmitglieder mit insgesamt 417 Anteilen zu je 300 Euro hinter sich weiß. 125.000 Euro Eigenkapital ist nicht viel, aber damit bewegt das Unternehmen 134 Autos - vornehmlich in Tübingen, 16 sind in Reutlingen stationiert, 13 im sogenannten "Umland", zu dem dann auch Altenburg gehören würde. 
Kompetent und geraderaus: Anita Gaiser, Projektmanagerin bei teilAuto in Tübingen

Schon vor der Sitzung wurde im Zuhörerraum heftig diskutiert.

Im Bezirksgemeinderat ging es dann zur Sache. Angestoßen hatte dieses Thema ein neuer Verein, der Altenburger Autobussle e.V., der sich darum bemüht, eine Lösung für all die Menschen im Dorf zu finden, die zum Beispiel Arzttermine wahrnehmen müssen, aber nicht in der Lage sind, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Bislang hatten die Gründer dieses Vereins diese Menschen im Rahmen der Nachbarschaftshilfe chauffiert. (Danit das klar ist: mit ihrem eigenen PKW. Stattdessen könnte nun für diese Chauffeur-Dienste das Teilauto genutzt werden.) Es steht dort an, wie man das Ganze besser organisieren kann. Eine Idee war dabei, ein Teilauto in Altenburg zu stationieren - in der (neuen) Donaustraße gegenüber der ehemaligen Kreissparkasse (derzeitiges Baubüro). Es wäre für den Nordraum, wahrscheinlich sogar für die gesamten Außenbezirke ein Novum. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es "teilAuto" schon seit 25 Jahren gibt. 3100 Kunden zählt die kleine Genossenschaft. In Altenburg könnten einige dazu kommen. Oder auch nicht!!!

Das war die große Frage. Anita Gaiser meinte, dass die Nutzung ihres doch zukunftsweisenden Konzeptes in Reutlingen eher unterentwickelt sei. Unsere sich gerne großstädtisch gebende Stadt hat da offensichtlich Nachholbedarf.

Rund 20 Kunden, die auch dann tatsächlich den Service nutzen, braucht teilAuto, um ein Fahrzeug der Klasse Opel Corsa zu stationieren. Für alle, die wqeniger als 7.500 Kilometer im Jahr fahren, ist dieses Konzept eine Überlegung wert. Das gilt insbesondere für Zweit- oder Drittwagen, die ja für ein Wohngebiet wie Altenburg nicht ganz unüblich sind.

Die Kunden zahlen zwischen neun und zwölf Euro pro Monat für das Recht, nach Absprache aber ansonsten jederzeit über das Teilauto verfügen zu können. Die Aufnahmegebühr beträft 50 Euro, eine Kaution in Höhe von 400 Euro muss hinterlegt werden. Schon einen Tag später kann man dann das Auto nutzen. Eine Chipkarte ermöglicht es, sich Zugang zu dem Fahrzeug zu verschaffen, das zudem mit einem Bordcomputer ausgestattet ist, der für genaue Abrechnung sorgt. Denn man zahlt 26 Cent je Kilometer, inklusive Tankfüllung. Deshalb gibt es eine Tankkarte, die - sollte der Sprit nicht reichen - an vielen Tankstellen akzeptiert wird. Abgerechnet wird dann nicht mit dem Kunden, sondern direkt mit der Genossenschaft. In anderen Fällen muss zwar der Kunde die Tankfüllung vorauszahlen, aber der Betrag wird ihm auf jeden Fall gutgeschrieben. Pro Stunde kostet das Fahrzeug der Corsa-Klasse übrigens 1,80 Euro. Die Fahrzeuge sind übrigens vollkaskoversichert, wobei man in seinem Vertrag zwischen 350 und 1000 Euro Eigenbeteiligung bei selbstverschuldeten Unfällen wählen kann. Es gibt keine Laufzeit-Bindung. Sollte also das Angebot nicht konvenieren, kann man es jederzeit kündigen. Übrigens scheint auch das Reservieren des Fahrzeugs problemlos zu machen sein.  

Auch wenn teilAuto inzwischen drei Elektrofahrzeuge in Betrieb genommen hat, überwiegt dennoch der Verbrennungsmotor. Anita Gaiser ist sich aber sicher, dass sich dies nach und nach ändern wird. "Das geht schon alles in die richtige Richtung", meint sie, ohne dass man das Gefühl hat, missioniert zu werden. Sie wirkt, wie das gesamte Konzept, sehr pragmatisch. Denn die Wirtschaftlichkeit beherrscht nach wie vor das gesamte Kalkül. Was sie jedoch mehrfach betont, ist, dass sich die Genossenschaft schon einem Versorgungsanspruch verpflichtet fühlt.

Und darum ging es ja gestern dem Bezirksgemeinderat und dem knappen Dutzend an Bürgern, die der Präsentation lauschten und - bei einer geplanten Unterbrechnung der Sitzung - auch ihre eigenen Fragen loswerden konnten.

So waren sie auch gespannt auf die Alternativen zu dem oben beschriebenen Individualkonzept. In Dusslingen - so berichtete die Projektmanagerin - habe eine Bürgerstiftung selbst ein Auto erworben, das aber von teilAuto gemangt wird. Es handelte sich fdabei um ein Elektroauto, das sich wegen des hohen Anschaffungspreises für den Einsatz im sogenannten Umland für die Genossenschaft selbst nicht rentiert. Aber grundsätzlich sei dies eine Alternative, die auch für einen "Verbrenner" infrage käme. Ob sich dieses Konzept für Altenburg eignet, sei allerdings fraglich.

"Man ändert mit der Zeit sein Mobilitätsverhalten", meint Gaiser. Sie habe das jedenfalls an sich selbst sehr deutlich gemerkt. Nun stellt sich die Frage: Ist das auch möglich bei einem ganzen Dorf, das manche Infrastrukturleistung zumindest momentan nicht vor Ort vorhält - wie zum Beispiel allgemein- oder zahnärzliche Betreuung. Es gäbe da noch eine Möglichkeit, die Verfügbarkeit eines teilAutos auf jeden Fall sicherzustellen. Ein Verein erklärt sich bereit, die Verantwortung für ein monatliches Budget von 700 Euro zu übernehmen, also bei Mindernutzung die Differenz auszugleichen. Eine Überlegung, die wahrscheinlich jetzt die Mitglieder des neuen Vereins Altenburger Bussle beschäftigen wird, aber vielleicht auch andere Vereine. Eins machte Anita Gaiser aber deutlich: "Sonderkonditionen gibt es nicht."

Da spricht das Selbstbewusstsein aus 25 Jahren Erfahrung mit Carsharing, aber auch eine klare Aussage. Wenn sich die Altenburger für ein solches Konzept entscheiden, das in einer Info-Veranstaltung noch den Bürgern nahegebracht werden, würden sie einen Partner bekommen, der seine Kompetenz unter Beweis gestellt hat. By the way: Vielleicht würde dieses Beispiel dann auch auf ganz Reutlingen und dessen Außenbezirken ansteckend wirken.

Raimund Vollmer

Mittwoch, 13. Februar 2019

Mein Freund Vittorio



Oberbürgermeisterin Barbara Bosch gemeinsam mit Vittorio Albano im Mai 2004


Vittorio ist tot. Ein Musiker mit Leib und vor allem viel, viel Seele. Leidenschaftlich, feinfühlig, romantisch, dickköpfig  - und ein wenig an Ludwig van Beethoven erinnernd. 1946 in Süditalien geboren kam er in den sechziger Jahren nach Deutschland, nach Reutlingen und fand vor 30 Jahren in Altenburg seine zweite Heimat. Denn Italiener blieb er immer. Sein Deutsch war perfekt, absolut, so perfekt, dass man ihn eher für einen Norddeutschen gehalten hätte als für einen Südeuropäer. Seine kompetente Sturheit, die ich als Westfale durchaus zu schätzen wusste, war schön überwältigend. Für seinen Dickkopf litt er gerne, aber das, was ihn an Schicksalsschlägen in den letzten 20 Jahren ereilte, war einfach nur noch ungerecht. Seine eigene Erkrankung, die ihn jetzt in den Tod führte, war vielleicht das, was er noch am ehesten ertragen konnte. Der Tod seiner ältesten Tochter und all die anderen, kleineren und größeren Schicksalsschläge im Kreis seiner Familie, haben seine Tapferkeit bis aufs Äußerste strapaziert. Und dennoch blieb er ganz bei sich selbst, ein Charakterkopf.

Vor 15 Jahren, im Mai 2004, hatte er bei einer Aufführung des Ausländerbeirats im Spitalhof aufgespielt. Er hatte mich gebeten, ihn zu begleiten. Das tat ich natürlich gerne, war mir sogar eine Ehre. 
Nach dem Ersten Bildertanzabend in Altenburg, November 2004
Zu diesem Zeitpunkt waren wir beide dabei, in Altenburg den "Bildertanz" vorzubereiten - als multimedialen Dorfabend, wobei wir -bis auf ein Musikstück - ausschließlich seine Kompositionen, seine Arrangements, von ihm selbst gespielt, einsetzten. Unsere Festhalle war proppevoll. Ein großer Triumph für ihn.

Doch zurück zu diesem Maienabend im Jahr 2004. Vittorio spielte - und ich dachte mir so, dass es aus diesem Anlass ein Foto mit unserer fruschgekürten Oberbürgermeisterin, die ja auch anwesend war, geben müsste. Ich habe sie dann gefragt - und sie war dazu gerne bereit. So entstand dieses Foto.

Uns verband eine sehr widersprüchliche Freundschaft. Aber im Grunde unseres Herzens haben wir uns gemocht wie Brüder. Zusammen haben wir vor 20 Jahren etwas ganz Verrücktes versucht: Wir haben zusammen ein Musical geschrieben. Für Schulen. Er hatte versucht, mit das Klavierspielen beizubringen - und ist erfolgreich an meiner Unfähigkeit gescheitert. Aber in dieser Zeit haben wir beide uns viel über Musik unterhalten. Er wollte die echte, die nicht programmierte Musik. Die wahre Liveaufnahme. Und das war dann auch ein Thema im Hintergrund dieses Musicals. Es wurde das am meisten nicht aufgeführte Musical der Welt. Wir haben eigentlich immer nur ein paar Stücke daraus präsentiert, wunderbar gesungen von seiner Tochter Manuela. 




Vielleicht hätten wir beide noch einiges in das Musical an Grips und Kreativität investieren müssen, um es in seiner Gänze anbieten zu können. Wir haben es auch schüchtern, wie wir waren, versucht. Aber es gefiel wohl nicht. Reutlingen eben. Oder wir waren nicht gut genug.

Aber wir haben gemeinsam etwas Verrücktes getan. Nun ist Vittorio im Himmel. Und ich weiß genau: das Halleluja ist nun ein Stückchen italienischer geworden.

Vittorio - ein Freund für alle Zeiten. 
Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer