Dienstag, 28. März 2017

Altenburger Abende: Mit Luther sind wir noch nicht fertig...

Du bist längst zuhause, da fällt Dir dann doch noch eine Frage ein, die Du nicht nur Marcus Bogner, dem Reformationsreferenten am gestrigen Abend, hättest stellen können, sondern jedem Deiner Mitbürger: "Was haben die Menschen in Altenburg wohl vor 500 Jahren gedacht, als ihnen, den Mitgliedern der Oferdinger Kirchenfiliale, mitgeteilt wurde, dass sie sich fortan protestantisch nennen sollen?" Du bist in Deinen Glauben hineingeboren worden (wie die Menschen vor einem halben Jahrtausend), aber die Frage, ob Du glaubst - an Gott (und an die "heilige katholische Kirche", wie es im Credo heißt) - durftest Du ab Deinem 14. Lebensjahr selbst für Dich beantworten und entscheiden. Aber die Menschen früher? Wieviel persönlichen Entscheidungsraum hatten sie?
Die alte Reichsstadt Reutlingen hatte es da wohl besser, wie Marcus Bogner beim gestrigen "Altenburger Abend" im evangelischen Gemeindesaal belegte. Da entschied sich die Stadt gleichsam kollektiv und in Übereinstimmung mit dem Willen der Bürger für das Luthertum und hielt über alle Fährnisse hinweg treu daran fest.
Es war ein wunderbarer Abend gestern - und die in Altenburg ansässigen Lehrer, die gestern überproportional vertreten waren in dem sehr gut besuchten Vortragssaal, meinten: "Man merkt, dass da ein Pädagoge gesprochen hat." Es war der Stolz auf den eigenen Berufsstand, der da aus ihnen sprach. Und das ist ja irgendwie auch schön, wenn Lehrer mal ganz offen stolz sein können auf sich selbst. Es war auch in der Tat sehr kurzweilig - und als "Schüler", der von den Lehrer nie eine ganz so hohe Meinung hatte (lieber zwei Stunden Unterricht als gar keinen Schlaf) wie diese von sich, musstest Du zugeben, dass Du Dich nicht eine Sekunde gelangweilt hast und Dein aus der Zeit der Niederlagen überkommener Wuinsch, durch ketzerische Zwischenfragen den Mann am Pult aus dem Konzept zu bringen, kam erst gar nicht auf. Noch nicht einmal eine Fümf-Miniten-Pause hast Du vermisst. Das war eine rasante Doppelstunde. Am Ende warst Du einfach nur platt, richtig platt.
Und Dir war klar, warum Luther nicht nur das Entstehen der evangelischen Kirche bewirkt hat, sondern eigentlich auch Deine Kirche, diese "heilige katholische  Kirche", gerettet hat. Was wäre ohne Luther aus ihr geworden? Auch eine Frage, die Du gerne gestellt hättest, wenn Du während des "Unterrichts" daran gedacht hättest. Aber wie bei aller guten Pädagogik kommen die Fragen erst später, bei den Hausaufgaben, wenn Du ganz allein an Deinem Schülerschreibtisch sitzt und die Fragen beantworten musst, die Dir Dein Lehrer mit nachhause gegeben hat.
Natürlich hat Marcus Bogner, Pfarrer und Ehemann unserer Pfarrerin, uns keine Hausaufgaben gegeben. Wie auch? Dass er uns zum Nachdenken gebracht hat (und da bin ich mir ziemlich sicher, dass er das getan hat), ist indes sein eigentlicher Erfolg. Dieses Kapitel in der Altenburger Gegenwartsgeschichte ist noch nicht zu Ende. Das sollte der Altenburger Geschichts- und Heimatverein, der zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde diese "Altenburger Abende" gestaltet, unbedingt noch aufnehmen.
Mit Luther sind wir noch nicht fertig. Und wer da einen drohenden Unterton heraushört, der hat nicht ganz Unrecht. Denn dieser Mann des Jahrtausends hat uns und unseren Kirchen noch ein paar Aufgaben mitgegeben. Er hat vor 500 Jahren ein selbstgefälliges, ja korruptes System zerstört. Und wie sehen die Kirchen heute aus? Wird da nicht zuviel von oben (herab) agiert, regiert und redigiert?
Insofern ist allein die Frage, wie wohl damals die Menschen, also vor allem die Bauern, diesen Wandel verkraftet haben, schon irgendwie berechtigt. Wir werden es natürlich nicht wirklich wissen können, weil andere mit anderen Interessen damals die Geschichte schrieben.
Marcus Bogner hat in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass wir mit unseren eigenen, heutigen Vorstellungen und Rechtsauffassungen kaum den damals sehr stark von Aberglauben geprägten Gedankenwelten der Menschen gerecht werden können. Die Gedanken der damaligen Elite, des Adels, sind uns inzwischen nicht minder fremd, obwohl sie allein durch die niedergeschriebenen Daten und Taten eher bekannt sind. Und doch bleibt über all die Jahrhunderte hinweg die Frage aktuell: Wie sehr werden wir manipuliert? Und wenn Heinrich Heine, der weltberühmte Freund des fast ebenso weltberühmten Reutlingers Friedrich List, in "Deutaschland - ein Wintermärchen" schreibt: "Wir kennen die Herren Verfasser, sind tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser", dann sind wir wahrscheinlich mit der Zeit vor 500 Jahren gedanklich vereint...
Am Sonntag jedenfalls berichtete die Frankfurter Allegmeine Sonntagszetung unter der Überschrift: "Wo bleibt die Kirchensteuer?" darüber, dass von dem vielen Geld, das über die Einkommensteuer in die Kassen der evangelischen Kirche fließt, nur ein Bruchteil bei den Gemeinde selbst ankommt. Das Paradebeispiel in diesem Bericht ist die Gemeinde Priem am Chiemsee: 475.000 Euro Kirchensteuern nehmen dort die Pfarreien ein, doch vor Ort schrumpft dieser Betrag auf 63.095 Euro zusammen. Natürlich wird das zentral verwaltete Geld nicht wie vor 500 Jahren für ein Lotterleben ausgegeben, sondern für kirchliche Dienste und Arbeiten. "Doch den Gedanken für die Menschen da zu sein, haben wir verloren. Und die Kirchengemeinden sind völlig aus dem Blick geraten", wird der Theologe Karl-Friedrich Wackerbarth, Pfarrer in Priem, zitiert.
Auf jeden Fall war der Gedanke gestern da. Denn das ist ja der Sinn der "Altenburger Abende". Sie sind für die Menschen da. Deshalb geht es am 6. Mai zur Kunkurrenz, nach Rottenburg. Peter Nagel, der hier bekannte Rezitator von Sebastian Blau, führt uns durch die Geburtsstadt seines Idols. Das wird dann mal ein "Rottenburger Nachmittag", bei dem wir jemandem aufs Maul schauen, der vor allem Schwäbisch mit uns schwätzen wird, also anders als Luther, der uns das Deutsch in die Kirchen gebracht hat, damit wir alle Gottes Wort verstehen und uns unsere eigene Meinung bilden...
Raimund Vollmer



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